GEDICHT DES MONATS
Ein Gedicht ist eine Sternschnuppe des Alltags.
April 2025
Hans Krech
Kaisertränen
Endlos rinnt aus grauem Himmel
Regen auf die Schwarzdächer Aachens,
löscht auch die Hoffnungskerzen
des Weihnachtsmarktes vor dem Rathaus.
Dunkelblau schlummern die
Heiligengeschichten erzählenden Glasfenster des Domes
- angelehnt an italienischen Marmor -
bewachend den goldschimmernden Sarkophag zu ihren Füßen,
in dem Kaiser Karl hemmungslos weinend betet.
Der Traum unseres grossen Ahnherren
von einem vereinigten friedlichen Europa
ist nur noch eine sehnsuchtsvoll schluchzende Orgelmelodie,
die in kalten Winternächten in unseren verlorenen Herzen nachhallt.
Der Thron auf der Empore,
errichtet mit den Bodenplatten der Grabeskirche Christi in Jerusalem,
von den Messern gelangweilter römischer Legionäre bekritzelt,
ist verwaist seit Jahrhunderten.
Der Weg hinauf verriegelt durch schwere Eisenketten
und eine Gittertür.
(geschrieben am Nachmittag des 21.11.2017 im Dom zu Aachen)
März 2025
Hans Krech
Mauerfall
Krachend stürzt die unüberwindliche Mauer
zwischen Freiheit und Massenknast,
zwischen Demokratie und Diktatur,
zwischen Hoffnung und Tod.
Das Volk hat die Barriere durchbrochen
und seine Entscheidung gefällt,
weise und mutig,
stolz und stark,
gewinnt die apokalypische Schlacht
um die Zukunft Deutschlands,
der Europäischen Union und der Welt.
Mit goldgelben Strahlen
schreibt die Morgensonne
die Parole der Sieger der Geschichte
auf die hellblaue Himmelsleinwand:
FREIHEIT!
(Hamburg, 26.10.2019)
Januar 2025
Hans Krech
Travelling home from Christmas
Im sanften Sinkflug landet die Dämmerung auf der Autobahn,
deckt alle bunten Farben mit ihrer grauschwarzen Schlafdecke ab,
herrschend über mit Rouladen und Stolle gefüllte schwere Bäuche
und geschenkesatte Seelen.
Die monotonen Bässe der Motoren des Postbusses
werden überlagert vom Coldplay-Gottesdienst in den Kopfhörern,
dem göttlichen Funken am Ausgang des Jahres.
"Viva la vida".
(26.12.2015, Rückfahrt von ZOB Halle/S. zum ZOB Hamburg im Postbus)
Dezember 2024
Hans Krech
Stillleben mit Weihnachtsmarkt
Rätselhafte Lichter wandern über die Tanne
auf der Binnenalster am Jungfernstieg.
Im Hintergrund Weihnachtsmelodien vom Broadway,
die gemischt mit Glühwein und Rum
in mich hineinfließen.
In kalter dunkler Winternacht
sanft träumend vom Aufstieg des neuen Jahres.
(geschrieben am 14.12.2014 gegen 18 Uhr auf dem Weihnachtsmarkt am Jungfernstieg nach dem Besuch der Sonderausstellung Stillleben von Max Beckmann in der Kunsthalle).
November 2024
Hans Krech
Letzte Stellung bei Gandamak - Gedanken zu zwei berühmten englischen Gemälden zum Ersten Afghanisch-Britischen Krieg (1839 - 1842)
William Barnes Wollen: The last stand of the survivors of Her Majesty´s 44th Foot at Gandamak, gemalt 1898 im Auftrag der Essex Regiment Association, Leihgabe National Army Museum Chelsea/London.
Elizabeth Thompson Butler: Remnants of an army, Jellalabad, January 13, 1842, gemalt 1879, Tate Gallery London.
Die verbliebenen 65 Soldaten des 44. Regiments
sind auf einem Hügel bei dem Dorf Gandamak unweit des Khyber-Passes
auf dem Rückzug von Kabul nach Jallalabad
am 13. Januar 1842 von aufständischen Ghilzai-Paschtunen eingekesselt worden,
mitten im eisigen afghanischen Winter,
tapfer und verzweifelt den aussichtslosen Kampf
mit nur zwanzig Gewehren und vierzig Patronen bestreitend,
verlierend den Ersten Afghanisch-Britischen Krieg
im Kampf um die Vorherrschaft in Zentralasien
im Great Game gegen das Russische Zarenreich,
grob unterschätzend
den unbeugsamen historischen Freiheitswillen der paschtunischen Stämme,
an die schon Alexanders Heer seinen Siegeswillen verlor
auf dem Friedhof der Großmächte.
Von 16.500 britischen und indischen Soldaten
nur der Regimentsarzt Dr. William Brydon verwundet Jallalabad erreichend,
eine Lehrstunde der Geschichte für die Ewigkeit.
Oktober 2024
Hans Krech
Das große Tor von Kiew
Modest Mussorgski 1874 zu einem Bild von Viktor Hartmann in seinem Zyklus "Bilder einer Ausstellung", 10. Satz
Aufgestoßen das große Tor von Kiew
durch das standhafte ukrainische Volk
in Richtung Westen,
nach Europa,
hinaus aus dem sowjetischen Gulag
in die Freiheit.
(geschrieben am 14. Kriegstag, 9.3.2022)