GEDICHT DES MONATS
Ein Gedicht ist eine Sternschnuppe des Alltags.
Januar 2025
Hans Krech
Travelling home from Christmas
Im sanften Sinkflug landet die Dämmerung auf der Autobahn,
deckt alle bunten Farben mit ihrer grauschwarzen Schlafdecke ab,
herrschend über mit Rouladen und Stolle gefüllte schwere Bäuche
und geschenkesatte Seelen.
Die monotonen Bässe der Motoren des Postbusses
werden überlagert vom Coldplay-Gottesdienst in den Kopfhörern,
dem göttlichen Funken am Ausgang des Jahres.
"Viva la vida".
(26.12.2015, Rückfahrt von ZOB Halle/S. zum ZOB Hamburg im Postbus)
Dezember 2024
Hans Krech
Stillleben mit Weihnachtsmarkt
Rätselhafte Lichter wandern über die Tanne
auf der Binnenalster am Jungfernstieg.
Im Hintergrund Weihnachtsmelodien vom Broadway,
die gemischt mit Glühwein und Rum
in mich hineinfließen.
In kalter dunkler Winternacht
sanft träumend vom Aufstieg des neuen Jahres.
(geschrieben am 14.12.2014 gegen 18 Uhr auf dem Weihnachtsmarkt am Jungfernstieg nach dem Besuch der Sonderausstellung Stillleben von Max Beckmann in der Kunsthalle).
November 2024
Hans Krech
Letzte Stellung bei Gandamak - Gedanken zu zwei berühmten englischen Gemälden zum Ersten Afghanisch-Britischen Krieg (1839 - 1842)
William Barnes Wollen: The last stand of the survivors of Her Majesty´s 44th Foot at Gandamak, gemalt 1898 im Auftrag der Essex Regiment Association, Leihgabe National Army Museum Chelsea/London.
Elizabeth Thompson Butler: Remnants of an army, Jellalabad, January 13, 1842, gemalt 1879, Tate Gallery London.
Die verbliebenen 65 Soldaten des 44. Regiments
sind auf einem Hügel bei dem Dorf Gandamak unweit des Khyber-Passes
auf dem Rückzug von Kabul nach Jallalabad
am 13. Januar 1842 von aufständischen Ghilzai-Paschtunen eingekesselt worden,
mitten im eisigen afghanischen Winter,
tapfer und verzweifelt den aussichtslosen Kampf
mit nur zwanzig Gewehren und vierzig Patronen bestreitend,
verlierend den Ersten Afghanisch-Britischen Krieg
im Kampf um die Vorherrschaft in Zentralasien
im Great Game gegen das Russische Zarenreich,
grob unterschätzend
den unbeugsamen historischen Freiheitswillen der paschtunischen Stämme,
an die schon Alexanders Heer seinen Siegeswillen verlor
auf dem Friedhof der Großmächte.
Von 16.500 britischen und indischen Soldaten
nur der Regimentsarzt Dr. William Brydon verwundet Jallalabad erreichend,
eine Lehrstunde der Geschichte für die Ewigkeit.
Oktober 2024
Hans Krech
Das große Tor von Kiew
Modest Mussorgski 1874 zu einem Bild von Viktor Hartmann in seinem Zyklus "Bilder einer Ausstellung", 10. Satz
Aufgestoßen das große Tor von Kiew
durch das standhafte ukrainische Volk
in Richtung Westen,
nach Europa,
hinaus aus dem sowjetischen Gulag
in die Freiheit.
(geschrieben am 14. Kriegstag, 9.3.2022)
September 2024
Hans Krech
Sonntagmorgen
Die ganze Nacht hat es geregnet,
wild trommelten Milliarden Wassertropfen
auf das Dach und die Fensterscheiben,
der monotone laute Rhythmus meiner Tiefschlafträume,
schwimmend im Meer der Hoffnung,
strampelnd nach Luft schnappend,
überlebend.
In der Dürer-Straße gurgeln die Gullys
den gefallenen Regen hinab
in den schwarzen Schlund der Kanalisation.
Auf den juligrünen Blätterdickichten der Bäume
glitzern silbrig die Strahlenkundschafter der Morgensonne,
angezogen vom Lockduft frischer Brötchen
aus der Bäckerei "Dat Backhus" in der Waitzstraße.
Sonntagmorgen.
(Sonntag, 17.7.2016)
August 2024
Hans Krech
Reunion
Hoch türmte der Ärmelkanal seine Wellen,
die sich freudig mit weißem Lachen überschlugen,
als ich sein Reich nach zweijähriger Abwesenheit betrat -
den Goldenen Halbmond aus Sand
zwischen der Isle of Wight und Poole.
Sehnsuchtstränen aus grauen tief hängenden Wolken
fielen auf mich herab.
Kalter Wind koste mich frohlockend:
Back on the beach.
(Bournemouth, 21 July 2015)
Juli 2024
Hans Krech
Lionheart
Für König Richard Lionheart
(1157 - 1199)
Niemals aufgeben,
immer in der ersten Reihe kämpfen,
jede Gefahr bestehen,
immer der Klügste und der Stärkste sein,
das Herz eines Löwen in der Brust tragend.
(geschrieben am 4.8.2013 in Bournemouth)
Juni 2024
Hans Krech
Three Lions
Drei Löwen als Wappen auf dem Schild Richards
beim Kreuzzug im Heiligen Land,
wo er als König englischen Heldenstatus
mit seiner Tapferkeit in den Schlachten um Akkon erwarb,
gequält von seinen Dämonen
unzügelbarer Jähzorn und mangelnde politische Befähigung.
Dreitausend muslimische Gefangene
in einem Wutanfall in Akkon hinrichten lassend,
weil er mit seinem Verhandlungsgeschick daran scheiterte,
von Sultan Saladin
das 1187 bei Hattin von den Kreuzfahrern verlorene Wahre Kreuz
zurückzuerlangen.
Zehn Jahre König von England,
davon nur sechs Monate in der Heimat,
von Gefecht zu Gefecht ziehend,
scheiternd bei der Rückeroberung Jerusalems,
und dann nach seiner Geiselhaft
auf schicksalsschwerem Boden in Frankreich
bis zum letzten Atemzug
kämpfend um sein normannisches Erbe,
mehr Ritter als Staatsmann,
aber so stark, so übermächtig tollkühn,
nie aufgebend,
und bei der Belagerung von Cabrol fallend.
Three Lions seit 1198 auch das Staatswappen Englands,
drei goldene Löwen auf rotem Grund,
den Betrachter unverwandt anschauend,
kündend,
umwoben von mittelalerlichen Legenden,
bis in die Gegenwart hinein
die Geschichte vom kriegerischsten aller englischen Könige:
Richard Löwenherz.
Mai 2024
Hans Krech
London is calling
Big Ben, die Königin aller Uhren
auf der berühmtesten Turmuhr der Welt
schlägt stündlich,
assistiert von den vier kleineren Viertelstundenglocken.
Der tiefe Ton der Great Bell of Westminster
verkündet eine heilige uralte Botschaft,
die fünfzehn Meilen im Umkreis
in der Londoner City zu hören ist
und die seit 1923
am Beginn der BBC-Radio-News
über die gesamte Welt verbreitet wird.
Seit genau einhundert Jahren.
Ein Oratorium,
die Gründungsgeschichte unserer Kultur erzählend,
berichtend vom "Messias",
komponiert von Händel in nur 24 Tagen für die Ewigkeit.
Und dies alles in diesem klaren Bronzebass,
mit gewaltigem Echo aufrüttelnd den Globus,
nach einer Antwort suchend,
jede volle Stunde über den Erdkreis rufend:
Wo ist der Messias?
Wo ist der Erlöser?
Wo ist der Retter?
London is calling!
(Cranachstr. , 11.5.2023)
April 2024
Hans Krech
Karfreitag
Morgenfrost mattiert mit seinem Raureif
silbrig glänzend die Pfützen auf den Wegen
und die Glasscheiben an den
Wartehäuschen der Bushaltestellen.
Eingefrorene Frühlingsträume,
in die wir noch heute Nachmittag
hineintauen werden,
den Blick dann frei geradeaus
in das aus dem Winterschlaf erwachende Jahr,
zartgrün sprießend,
überschwemmt vom Duft
blauberockter Krokusse.
Die Hoffnung ist wiederauferstanden,
sie steht auf kräftigen Beinen,
sie rennt,
sie liebt,
sie siegt!
(Hamburg, Cranachstr., Karfreitag, 30.3.2018, 9 Uhr)
März 2024
Hans Krech
Let´s go back to the Stars
(Coldplay Live in Sao Paulo, 2018)
Aus Sternenstaub geboren,
aus der Eiseskälte in der Tiefe unseres Sonnensystems,
kreisend in der Milchstraße,
genauso wie einhundert Milliarden
weiterer Universen im unendlichen All,
nie allein,
immer beobachtet.
Träumend die Menschheit seit Zehntausenden von Jahren
von den Reisen zum Mond, zu Mars und Venus
und dann weit hinaus
in den Kosmos ohne Anfang und Ende,
nicht erfassbar durch den menschlichen Verstand,
weil sterblich, weil endlich, weil vergänglich.
Und doch aus Sternenstaub geboren.
Let´ go back to the Stars.
Februar 2024
Hans Krech
Dom Europa
Für Karl den Großen
Sonnenlicht gefiltert durch blaubunte turmhohe Kirchenfenster
bricht sich auf dem mattgoldenen Kaiserschrein
tief im Herzen der Apsis
in dem die Gebeine
unseres Vaters ruhen,
der uns zeugte in Dekaden endloser Feldzüge
aus dem Blut der tapferen sächsischen Krieger,
den gefällten heiligen Eichen,
den erbarmungslosen Intrigen seiner Ahnen
zur Eroberung des Thrones der Merowinger.
All dies uns als Erblast
mitgebend durch zwölf dunkle Jahrhunderte,
manchmal den Traum eines geeinten friedlichen Europas
in der fernen Morgenröte erahnend
am Ende der alten Zeit.
(Dom zu Aachen, 21.4.2015)
Januar 2024
Hans Krech
Sledge Hammer
Niedergedrückt
von den verlorenen Siegen
der vergangenen zwölf Monate,
empfange ich auf den Knien
die Verheißungen des neuen Jahres:
seinen Reichtum, seine Gesundheit,
sein Glück, seine Küsse,
seine schönen Mädchen.
Dann stehe ich auf
und schmiede das Jahr
nach meinem Willen.
Dezember 2023
Hans Krech
Mein Gym 1: Der Power-Trainingsrhythmus
"I love Rockn´Roll!"
brüllt Britney aus den Lautsprecherboxen
in meinem Gym McFit
in der ersten Etage des UCI-Kinos Hamburg-Othmarschen.
Es wackeln die Kraftmaschinen,
tanzen die Hanteln,
rollen die Schwungräder,
pendeln die Sandsäcke,
rattern die Laufbänder,
stöhnen die schweißüberströmten Power-Mädchen,
hecheln die Bodybuilder unter dem Eisen,
gnadenlos im Britney-Super-Drive gefangen,
der jeden Atemzug bestimmt,
jeden Herzschlag,
jede Bewegung,
jeden Gedanken,
jede menschliche Regung,
jeden Blick.
"I love Rockn´Roll!"
Und Britney legt zu,
sie steht auf einem harten Finale,
steigert sich zu einem Orkan,
das das halbe Gebäude schwankt,
ein Erdbeben bricht aus,
die Fitness-Junkies vor sich hertreibend,
in einen Orgasmus des Willens!
(geschrieben am 10.9.2023, Nachmittag im kleinen Park an der Cranachstr.)